„Kein Bodybuilder ist zufrieden mit seinem Körper… niemals“
Zitat von Markus Rühl „German Beast“ / Deutsche Bodybuilding-Legende
Es ist nicht genug!
Ich muss noch mehr!
Ich darf nicht aufhören!
Ich muss auf die Waage!
Ich muss Kalorien zählen!
Ich muss Lebensmittel abwiegen!
Ich muss Diät machen!
Ich muss mich und mein Essverhalten kontrollieren!
Nein, ich spreche hier nicht von Bodybuilding. Diese Sätze könnten eins zu eins aus dem Tagebuch einer Person stammen, die unter Magersucht leidet. Der verzweifelte Wunsch nach Perfektion, die unerbittliche Kontrolle über das eigene Gewicht und die zwanghafte Fixierung auf die Ernährung. Hier würde niemand davon sprechen, dass die Magersucht eine bewundernswerte Disziplin mit sich bringt. Das Überraschende ist, dass wir diese Selbstkontrolle beim Bodybuilding jedoch oft als bewundernswert empfinden. Aber wo genau ist jetzt der Unterschied? Komisch, dass immernoch viele Menschen denken, dass Bodybuilding nichts mit Essstörungen zu tun hätte.
Disziplin kann krankhaft sein!
Der Wunsch nach einem makellosen Körper, die Obsession mit Gewicht und Ernährung, all das sind Dinge, die Massen an fitnessinteressierten Menschen mit Bewunderung und Respekt betrachten, wenn sie im Kontext des Bodybuildings auftreten. Doch wenn wir genauer hinsehen, entdecken wir beunruhigende Parallelen. Die FIBO, eine der größten Fitnessmessen der Welt, ist ein Mikrokosmos dieser Parallelen. Hier versammeln sich Menschen mit dem gemeinsamen Ziel, ihre Körper zu perfektionieren, sei es durch Muskelaufbau oder Gewichtsverlust.
Der unermüdliche Drang, „mehr“ zu erreichen, sei es in Form von Muskeln oder Gewichtsverlust, kann in eine gefährliche Abwärtsspirale führen – oder wie Bodybuilding-Legende Markus Rühl sagt: „Dieser Extremsport ist wie ein Tanz am Abgrund.“. Auch Sophia Thiel, eine der bekanntesten Fitness-Influencerinnen Deutschlands, spricht heute sehr offen über die essgestörten Muster, die in der Fitness- und Bodybuilding-Welt viel zu normal und verharmlost sind.
In den Extremen, sei es beim Abnehmen, im Leistungssport oder in der strengen Ernährung, zeigt sich das Potenzial für Störungen und zwanghaftes Verhalten. So rücken auch in der Forschung seit einiger Zeit Störungsbilder wie Orthorexie, Sport-Bulimie, Sport-Anorexie, Muskelsucht und andere Mischformen von Essstörungen immer mehr in den Fokus. Dies ist die Spitze des Eisbergs einer essgestörten Gesellschaft, die den Blick auf die Frage „Was ist ein normaler, gesunder Körper?“ immer weiter ausblendet. Ein Streben nach dem Superhelden-Dasein – oder auch „der Adoniskomplex“ (eine Essstörung, bei der Männer durch exzessiven Sport, Diäten, die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln oder auch Doping versuchen, ihren Körper in eine möglichst vollkommene Form zu bringen).
Die Sportsucht und Essstörungen dienen oft als Symbole für Leistung und Disziplin.
Und Leistungsfähigkeit ist doch quasi das Gleiche wie „Gesundheit“, oder?
„Bauch, Beine, Po“ und der Wunsch nach dem Sixpack und der Bikinifigur sind aber keine Gesundheitsthemen. Dennoch schleichen sie sich irgendwie doch in unser Gesundheitsverständnis hinein. Doch der Drang nach Schönheit und Ästhetik erstickt das Thema Gesundheit oft schon im Keim. Bei leicht-übergewichtigen Menschen, die ihrer Aussage nach 5 – 10 Kilo „zu viel“ haben, reden wir fast immer über den ästhetischen Wunsch, sich vor dem Spiegel wohler zu fühlen, trotz vollständiger körperlicher Gesundheit. Der Wunsch nach Gewichtsabnahme ist in vielen dieser Fällen demnach keinerlei Gesundheitsthema, sondern in erster Linie ein Selbstwert-Problem.
Schönheitsoperationen nehmen stetig zu, und der Missbrauch von Steroiden in Fitnessstudios bei 15-18-jährigen Männern liegt inzwischen bei knapp 20%. Also „Schön sein wollen – auf Kosten der Gesundheit“ … Es ist Teil unserer tatsächlichen Lebensrealität, dass es Menschen gibt, die versuchen mit Hilfe von Kokain abzunehmen, sich krank ins Fitnessstudio schleppen oder Angst davor haben, mit dem Rauchen aufzuhören, da sie befürchten, zuzunehmen.
Die Fitnessbubble ist in diesem Sinne ziemlich pervers, wenn ihr mich fragt… und ja, im Großen und Ganzen würde ich sagen: „Fitness – so wie sie in den meisten Fällen betrieben wird – macht unzufrieden.“ – Vor allem was das eigene Körperbild angeht -was natürlich zusätzlich durch die sozialen Medien und das ständige Vergleichen von Körpern immer weiter verstärkt wird.
Aber beim Fitness-Fokus gibt es doch keinen so problematischen Leidensdruck, wie bei anderen Essstörungen, oder doch?
Naja, neben der Tatsache, dass sich das ganze Leben nur noch um die eine Sache dreht, so ist es wie bei vielen Süchten: „solange wir unseren Stoff bekommen, geht’s uns gut“ – Was aber, wenn wir nicht mehr können und auf Entzug sind? Diese Zusammenhänge sind nicht immer offensichtlich, aber es ist höchste Zeit, darüber aufzuklären und die gesellschaftliche Wahrnehmung zu hinterfragen.
Denn wahre Stärke sollte auch darin liegen, die eigene Gesundheit und die eigenen Grenzen zu respektieren, anstatt „no pain, no gain“ und „no excuses“ zu proklamieren. Meine Empfehlung: „Geh einfach hin und wieder in eine öffentliche Sauna, um ein gesundes Gespür dafür zu bekommen, wie ein normaler Körper in der realen Welt wirklich aussieht.“ (Wobei die Angst davor, „nur normal“ zu sein, ebenfalls in die Welt der Essstörungen einzuordnen ist.)
Es ist an der Zeit, die Verbindung zwischen Bodybuilding, Fitness und Essstörungen zu erkennen und zu reflektieren.
„Kein Bodybuilder ist zufrieden mit seinem Körper… niemals“?
„Kein essgestörter Mensch ist zufrieden mit seinem Körper… niemals“!