„Gesundheit ist nicht das Wichtigste!“
In einer Welt, in der der Wunsch nach Leistungsfähigkeit oft die Oberhand gewinnt, scheint die Priorisierung von Gesundheit in den Hintergrund zu treten. Gerne sagen wir Aussagen wie „Ohne Gesundheit ist alles nichts“ oder „Gesundheit ist das Wichtigste“.
Das sind Lügen! Auf der Prioritäten-Liste liegt das Argument „Das ist gesund“ sehr viel weiter unten, als wir wahrhaben wollen.
„Die Gesundheit ist zurückgestellt. Das Wichtigste im Leben ist die psychosoziale Identität“
Prof. Dr. Christoph Klotter (Ernährungspsychologe und Psychotherapeut mit Professur an der Hochschule Fulda)
Im Klartext: Es gibt viele Dinge, die uns wichtiger sind.
Warum gehen die meisten Menschen zum Beispiel ins Fitnessstudio? Gesundheit? Weit gefehlt! Den meisten Fitnessstudio-Gängern geht es primär um Ästhetik und das äußere Erscheinungsbild. Warum machen Menschen Diäten? Gesundheit? Weit gefehlt! Den meisten Diät-Opfern geht es primär um ein paar Kilo zu verlieren, um attraktiver zu sein.
Bis hierhin soweit so gut. Etwas kritischer wird es jedoch, wenn wir uns folgende Aussagen anschauen:
Der Missbrauch von Anabolika und Doping in Fitnessstudios bei 15-18-jährigen Männern liegt Schätzungen nach bei ca. 20%. (Erläuterung: Der Wunsch nach einem schöneren Körper, auf Kosten der Gesundheit!)
Über 50% der Deutschen gehen regelmäßig krank zur Arbeit. (Erläuterung: Der Wunsch zu „Funktionieren“, auf Kosten der Gesundheit!)
Wenn man 13-jährige normalgewichtige Mädchen fragt: „Wie findest du deinen Körper?“, dann ist die häufigste Antwort „ekelhaft“. (Erläuterung: Der Wunsch noch mehr abzunehmen, trotz körperlicher Gesundheit!)
Regelmäßig in meinen Seminaren gibt es Aussagen wie: „Ich habe Angst davor, mit dem Rauchen aufzuhören, denn ich könnte ja zunehmen.“ (Erläuterung: Die Durchführung eines gesundheitsschädlichen Verhaltens, aufgrund der Angst, nicht mehr schön genug zu sein.)
Steigender Missbrauch von Schmerzmitteln, Schlafmitteln und leistungssteigernden Drogen wie Mikrodosing oder Ritalin – bis hin zu Kokain. Selbst Medizinstudenten nehmen häufig Ritalin, um das Pensum des Studiums durchzuhalten. (Erläuterung: Die Einnahme potenziell gesundheitsschädlicher Mittel, zur Aufrechterhaltung oder Steigerung der eigenen Leistungsfähigkeit.)
All diese Phänomene sind Bestandteil unserer Lebensrealität, während Schönheitsoperationen, Suchterkrankungen, Essstörungen und andere psychische Erkrankungen alarmierend zunehmen.
Doch woher kommt diese Obsession, und warum setzen so viele Menschen ihre Gesundheit aufs Spiel?
Selbstoptimierung wird zum Leitmotiv, unterstützt durch eine Fülle von Pillen, Trackern und Nahrungsergänzungsmitteln. Ganz nach dem Motto: „Ich muss besser werden“ – doch zu welchen Preis?
Die steigende Zahl von diagnostizierten psychischen Erkrankungen in unserer Gesellschaft könnte ein Weckruf sein. Inzwischen hat jeder Dritte Deutsche eine diagnostizierte psychische Erkrankung. Die Dunkelziffer wird hierbei noch um einiges höher sein. Oder wussten Sie, dass Suizidgedanken im Jugendalter heutzutage völlig normal sind? Ein Opfer, das im Namen der Produktivität gebracht wird. Doch ist dieser Weg nachhaltig, oder geraten wir in einen Teufelskreis, in dem Gesundheit vernachlässigt wird?
Das selbe Spiel in Unternehmen… bis hin zur toxischen Unternehmenskultur
Auf Gesundheitstagen in Unternehmen lässt sich allzu oft beobachten, welchen Stellenwert Gesundheit wirklich hat. Da ich regelmäßig mit Vorträgen und Seminaren in Unternehmen bin, bekomme ich einen sich immer wieder bestätigten Eindruck, welchen Stellenwert diesem Thema eingeräumt wird:
Teilnahmequoten von Maßnahmen sind oft nahezu erbärmlich. Meist kommen ausschließlich gesundheitsinteressierte Menschen. Die relevante Zielgruppe wird komplett verfehlt. Von Führungskräften wird es eher „geduldet“ als wirklich „erwünscht“. Der Stellenwert von Gesundheit steigt erst dann an, wenn es wirklich wehtut (Krankheitsquote, Fachkräftemangel). Es wird auf die Generation Z geschimpft, die sich nicht durch die Arbeit krank machen lassen möchte.
Und CEOs halten auf einem Gesundheitstag eine 5-minütige Begrüßungsrede und erläutern, warum „Gesundheit“ so wichtig sei – und danach verschwinden sie, weil die für so einen Quatsch eben keine Zeit haben. (Das hat Symbolwirkung.)
Also machen wir weiter unbezahlte Überstunden, arbeiten am Wochenende trotz Krankschreibung, nehmen noch eine Schmerztablette und ab dafür! Nach Feierabend schleppen uns noch mit Erkältung ins Fitnessstudio und machen Bauch, Beine, Po… weil No Excuses … No pain, no gain… Wer schön sein will, muss leiden … usw.
Es ist an der Zeit, die Frage zu stellen, ob unsere Gesellschaft tatsächlich Gesundheit und Wohlbefinden als höchste Priorität betrachtet. Diese Frage geht natürlich auch an dich, lieber Leser / liebe Leserin. Denn sonst arbeiten viele Fachkräfte in diesen Themenfeldern gegen Windmühlen an.
Gesundheit verdient mehr als nur Lippenbekenntnisse – sie verdient eine ehrliche, tiefe Priorisierung in unserer Gesellschaft.