Super-Fail: „Iss dich glücklich!“

Wer kennt sie nicht? Gute-Laune-Snacks, Happy-Food, Serotoninbooster, Stimmungsaufheller und Glückshormone…

Dunkle Schokolade, Banane, Pflaumen und Pillen.
In einer Welt, in der mentale Gesundheit in den Fokus rückt, scheint die Vorstellung, sich einfach „glücklich zu essen“, verlockend.
Serotonin (als Glückshormone) und Tryptophan (Vorstufe von Serotonin), sollen in Lebensmitteln für gute Laune sorgen.

Doch ist das wirklich so? Die »Serotoninhypothese« stammt aus den 1960er Jahren: Forscher entdeckten, dass ein Abbauprodukt des Moleküls in der Gehirnflüssigkeit von depressiven Patienten in geringeren Mengen vorhanden war als bei Gesunden. Infolgedessen schlugen zwei Wissenschaftler in Leningrad (heute Sankt Petersburg) vor, dass Depression auf einen Serotoninmangel zurückzuführen sei. Diese Hypothese fand Eingang in die medizinischen Fachbücher und wird noch heute vielfach zitiert. Allerdings ist mittlerweile klar, dass diese scheinbar einfache Erklärung falsch ist.

„Es gibt keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen Serotoninspiegel und depressiven Symptomen“, Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité.

„Diese Serotoninhypothese ist totaler Quatsch“ Die Idee, dass ein einziger Botenstoff für Depression verantwortlich gemacht werden könnte, nennt er »lächerlich«. Psychiater Tim Kendall, der die britischen Leitlinien zur Behandlung von Depression mit verfasste.

Im Wissenschaftsbetrieb spielt die Serotoninhypothese so gut wie keine Rolle mehr. Trotzdem gibt es weiterhin Ernährungsfachkräfte, Ärzte, Trainer und Berater, die sie Klienten und Patienten als Ursache für ihre Gemütslage oder Erkrankung verkaufen. Auch die Pharmaindustrie und Anbieter von Nahrungsergänzungsmitteln halten teilweise an diesem vereinfachten Bild fest – weshalb sie noch heute so populär ist.

Warum also halten einige Gesundheitsexperten hartnäckig an der Idee fest, dass Serotonin-haltige Lebensmittel einen Effekt auf die mentale Gesundheit haben könnten?

„Es ist schlichtweg bequem, den Serotoninmangel als Erklärung heranzuziehen“ Peter Falkai, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

„Chemisches Ungleichgewicht im Gehirn klingt einfach gut“ Psychiater und Psychotherapeut Jan Dreher von der Klinik Königshof Krefeld

Die Vorstellung eines Serotoninmangels als einfache Erklärung kann sowohl für Ärzte, Experten, als auch für die Industrie attraktiv sein. Vor allem für Anbieter von Nahrungsergänzungsmittel, ist diese Annahme natürlich ein wundervoller Aufhänger und teure, sinnlose und wirkungsfreie Pillen zu verkaufen.

Schauen wir an dieser Stelle mal über den Tellerrand hinaus und sprechen über „Antidepressiva“.

Wir sprechen jetzt also über ein Medikament, welches die Wirkungsweise von Serotonin im Menschen mit pharmakologisch relevanter Dosierung seit Jahren versucht, irgendwie zu erläutern und zu erforschen. Die aktuellen Ergebnisse sind ernüchternd. Die Annahme, dass eine Depression durch einen Serotoninmangel im Gehirn ausgelöst wird, der sich medikamentös beheben lässt, ist genau das: eine Annahme.

Insgesamt stufen aktuelle Meta-Analysen die Wirksamkeit von Antidepressiva eher bescheiden ein. Bei leichten Depressionen schneiden die Mittel besonders schlecht ab. Die Verfasser einer aktuellen Veröffentlichung im Fachjournal „Molecular Psychiatry“, angeführt von Professor Dr. Joanna Moncrieff vom University College London, schließen sich der Kritik an. In ihrem sogenannten Umbrella-Review haben sie verschiedene Studien zur Rolle von Serotonin bei Depressionen zusammengetragen und erneut analysiert. Die Ergebnisse zeigen, dass die Messung von Serotonin und seinen Abbauprodukten im Blut und in der Gehirnflüssigkeit keinen Unterschied zwischen depressiven Patienten und Menschen ohne Depression aufweist.

Das Fazit der Autoren lautet, dass die Serotonin-Hypothese trotz umfangreicher Forschungsanstrengungen nicht überzeugend belegt werden konnte. Es wird daher darauf hingewiesen, dass es an der Zeit ist anzuerkennen, dass diese Theorie empirisch nicht gestützt ist. Die Wirkung von Antidepressiva könnte möglicherweise auf einem starken Placeboeffekt oder einem allgemeinen dämpfenden Einfluss auf das emotionale Empfinden beruhen, jedoch wahrscheinlich nicht auf einer Erhöhung des Serotonins.

„Seitdem ich diese Pillen schlucke, fühle ich mich einfach besser“.

Die Wirkung von Antidepressiva wird aktuell um rund 70-80 Prozent auf den Placebo-Effekt zurückgeführt. Wir dürfen uns demnach darüber Gedanken machen, wie viel Placebo bei angeblichen Wundermitteln in der Nahrungsergänzungsmittel-Welt greift.

Wenn selbst Medikamente, die speziell zur Beeinflussung von Serotonin und anderen Botenstoffen entwickelt wurden, einen erheblichen Teil ihrer Wirkung dem Placeboeffekt zuschreiben und noch heute in Ihrer Wirkungsweise fragwürdig sind…wie zur Hölle kommen Ernährungsfachkräfte auf die Idee, dass Serotoninhaltige Lebensmittel irgendeine Wirkung auf die Psyche hätten.

So stellt sich die rhetorische Frage: Wie glaubwürdig sind Behauptungen, dass Serotonin-haltige Lebensmittel unsere mentale Gesundheit beeinflussen können?

Wie viel Schokolade willst du eigentlich fressen? Wahres Glücks-Potential in Schokolade, Banane, Käse, Eiern, Fleisch, Fisch, Hülsenfrüchten oder Nüssen – durch Serotonin und Tryptophan.

Bevor wir also enthusiastisch zu Schokolade oder Bananen greifen, sollten wir uns bewusst machen, dass die Realität der mentalen Gesundheit viel komplexer ist als ein einfaches Rezept zum Glück.

ALSO NOCHMAL:

Ein erhöhter oder vermindeter Serotoninspiegel im Gehirn zeigt keinen Einfluss darauf, ob eine Depression vorhanden ist oder nicht.
Die Serotonin-Aktivität an den Rezeptoren ist bei den meisten gesunden und depressiven Menschen vergleichbar.
Es wurde festgestellt, dass ein künstlich herbeigeführter Serotoninmangel, beispielsweise durch spezielle Diäten, keine depressiven Symptome auslöst.
Depressive Symptome wie Niedergeschlagenheit oder Antriebslosigkeit lassen sich nicht auf einen Mangel an Serotonin im Gehirn zurückführen.
In diesem Sinne. Bleibt kritisch. Bon Appétit.

Wenn du mehr zur Wirkungsweise von Serotonin und der kritischen Auseinandersetzung zur aktuellen Studienlage, bezüglich Antidepressiva, erfahren möchtest, kann ich dir folgenden Beitrag von den Quarks Science Cops empfehlen, der diese Thematik gut verständlich vermittelt.

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Frédéric Letzner (M.Sc.) ist deutschlandweit als professioneller Redner unterwegs, sowie bekannt aus Funk und Fernsehen.
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