Die Nachhaltigkeits-Psychologie: „Warum wir scheitern.“

In der ständigen Debatte über Nachhaltigkeit stoßen gut gemeinte Ratschläge oft auf taube Ohren, und die Frage bleibt: Warum scheitern wir so oft, nachhaltiger zu handeln oder das Thema „Nachhaltigkeit“ zu vermitteln? Vergleichbar mit Gesundheitsratschlägen stoßen Appelle zu nachhaltigem Handeln auf psychologische Barrieren, die sehr viel tiefer gehen als bloße Unwissenheit.

„Unter den richtigen Voraussetzungen sind Menschen gerne bereit, dumme Entscheidungen zu treffen.“

Autonomie und der erhobene Zeigefinger

In einer Welt, in der junge Menschen protestieren und moralisch gegen vermeintliche Übeltäter vorgehen, stellt sich die Frage: Ist der erhobene Zeigefinger wirklich der Schlüssel zur Veränderung? Menschen reagieren oft mit Widerstand, wenn man ihnen sagt, was sie zu tun oder zu lassen haben. Dieser Widerstand verstärkt sich, wenn sie zusätzlich mit einem moralischen Druck konfrontiert werden. Der Protest gegen falsches Handeln mag emotional erfüllend sein, führt aber selten zu nachhaltiger Veränderung. Auch in der Gesundheitswelt gibt es diesen Protest schon länger: gegen Übergewichtige (die das Gesundheitssystem belasten), gegen die Lebensmittelindustrie und für mehr Vernunft im Umgang mit der eigenen Gesundheit. Doch „Ermahnen und Verurteilen“ bringt meist nichts – der moralische Druck geht oft nach hinten los.

Identität und anerzogenes Selbstbild

Fußball, Bart, Curry-Wurst, Zigarre und Bier – die psycho-soziale Identität hat immer Priorität. Unsere Identität ist geprägt durch Erziehung, Erfahrungen und unsere soziale Umgebung. Auch Stereotypen werden noch heute in der Werbung bespielt und wiederholt. Menschen haben unterschiedliche Werte und sind nicht zuletzt kulturell unterschiedlich. Die entwickelte Identität ist das, was uns als wertvollen Teil der Gesellschaft fühlen lässt – und zu den Grundbedürfnissen eines jeden Menschen gehören nun mal Zugehörigkeit und Anerkennung. Gruppendruck und Sozialisation lassen sich nicht so einfach weg argumentieren.

„Du musst jetzt anders denken!“ „Du musst jetzt ein anderer Mensch sein“ – „Du musst jetzt vegan leben.“ usw.… „JETZT”! Aufforderungen fühlen sich für viele Menschen an wie eine Ablehnung ihrer Person und eine Einschränkung ihrer Freiheit. Die Herausforderung liegt darin, wie wir Nachhaltigkeit in dieses Bild integrieren können, ohne dass es uns als Angriff auf unsere Grundwerte erscheint. Konflikte zwischen der gewohnten Identität und dem nachhaltigen Denken sind der Grund, warum einfache Appelle oft ins Leere laufen.

„Es ist wie mit der Gesundheit: Eigentlich wüssten wir, was wir tun müssten, aber dennoch tun wir es nicht – und die Gründe dafür sind erstaunlich ähnlich.“ Menschen sind nicht rational, sondern emotional. Oder warum gibt es Elektroautos, die trotz geräuschloser Fahrt Motorengeräusche digital simulieren, um traditionelle Identitätsbilder nicht zu stören?

Nachhaltigkeitskiller – Performance, Wachstum und Geschwindigkeit

In der Eile des modernen Lebens gerät die Bedeutung von „Nachhaltigkeit“ oft aus dem Fokus – „Schneller, höher, weiter“.
Muss es erst weh tun? In Sachen Gesundheit wäre das Äquivalent: „Ein Herzinfarkt kann sehr motivierend sein“. Auch die Gesundheit nehmen wir gerne als selbstverständlich, bis sie plötzlich wegfällt und wir mit unangenehmen Konsequenzen konfrontiert werden. Demnach handeln Menschen in vielen Lebensbereichen nicht nachhaltig. Die Frage bei endlichen Ressourcen ist stets: Können wir dieses Pensum auch langfristig umsetzen? Und zu welchem Preis?

Solange wir davon überzeugt sind, dass Schnelligkeit und Performance den Maßstab für die Bewertung eines Menschen, einer Organisation oder einer Gesellschaft setzen, werden wir vermutlich immer wieder Gesundheit und Nachhaltigkeit vernachlässigen und versuchen, unser bestehendes Pensum aufrechtzuerhalten. Insbesondere im empfundenen Druck der Konkurrenz mit Anderen, die vielleicht noch weniger Wert auf „Nachhaltigkeit“ legen.

„Der Kollege macht auch Überstunden.“

„Alle anderen gehen auch krank zur Arbeit.“

„Andere Organisationen sind günstiger und nehmen uns die Kunden weg.“

„Deutschland ist wirtschaftlich nicht mehr so stark, wie es mal war.“

„In China wird das Auto der Zukunft gebaut.“

Hier entpuppt sich ein Kernkonflikt: „Wir versuchen mitzuhalten“ – „Wir wünschen uns Anerkennung und Zugehörigkeit“  – „Wir lieben Statussymbole“ – „Wir wollen die Besten sein“ – und zwar heute! Was in 10 Jahren ist, spielt heute noch keine Rolle.

Jeden Tag „alles zu geben“ ist genauso wenig nachhaltig, wie jeden Tag „alles zu nehmen“.

In einer Welt, wo Zeit als begrenzte Ressource verstanden wird, Flexibilität, Effizienz und Geschwindigkeit an oberster Stelle stehen, hat das Thema „Nachhaltigkeit“ nur wenig Platz. Nachhaltigkeit bedeutet, auf die Bremse zu treten, unangenehme Veränderungen zu ertragen und seine Identität zu hinterfragen. Es klingt so sehr nach „Low-Performer“, „Pause machen“, „Entspannung“. Es klingt in vielen Ohren sooooo langweilig! Da lassen wir doch mal lieber die Sau raus, geben Vollgas und lassen die Motoren aufheulen – à la „Sex, Drugs, Rock ’n‘ Roll“.

Und bei allen Statussymbolen stellt sich die Frage: Wie viel ist sich der High-Performer selbst noch wert, wenn er seinen Kollegen keinen Porsche mehr präsentieren kann, von dem er Jahre lang geträumt und den er sich hart erarbeitet hat?

Nachhaltigkeit und Veränderung

Nachhaltigkeit erfordert Veränderung, was im Kontrast zu einer Gesellschaft steht, die Geschwindigkeit und Wachstum bevorzugt. Nachhaltigkeit erfordert Veränderung, und dies bedeutet oft, mit unangenehmen Emotionen konfrontiert zu werden. Unsicherheit, Ängste, Kontrollverlust…

In einer Welt, die Geschwindigkeit und Wachstum schätzt, wird die Bereitschaft, langsamer zu leben und Veränderungen in Kauf zu nehmen, teilweise sogar als „Schwäche“ empfunden. Solange wir nicht bereit sind, über die tiefgreifenden Konflikte, Psychologie und Werte zu diskutieren, die mit Nachhaltigkeit verbunden sind, wird das Thema weiterhin an oberflächlichen Debatten scheitern. Ein nachhaltiges Leben erfordert nicht nur eine Veränderung im Handeln, sondern auch in der Art und Weise, wie wir über uns selbst und unsere Welt denken.

Wie verantwortungsvoll gehst du mit dir und deinen gesundheitlichen Ressourcen um? Wie verantwortungsvoll gehst du mit deinem Umfeld, deinen Mitmenschen und deiner Umwelt um? Wie verantwortungsvoll gehst du mit den kommenden Generationen und dieser Welt um?

Insgesamt stellt die Herausforderung der Nachhaltigkeit einen Appell zur Veränderung des persönlichen Selbstverständnisses dar. Die Überwindung von Reaktanz, die Neubewertung von Identitätsmustern und die Anerkennung von Verantwortung sind entscheidende Schritte auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Zukunft. 

Teile deine Gedanken gerne unter dem Post!
Mehr zu diesem Thema gibt es ab 2024 im neuen Impuls-Vortrag: „Die Nachhaltigkeits-Psychologie – Warum wir scheitern“.
Mehr Infos (siehe unten).

Ab 2024 auch mit einem Keynote-Vortrag
zum Thema „Nachhaltigkeits-Psychologie: Warum wir scheitern.“

Frédéric Letzner (M.Sc.) ist deutschlandweit als professioneller Redner unterwegs, sowie bekannt aus Funk und Fernsehen.
Fragen Sie gerne nach individuellen Angeboten (Vorträge / Workshops) für Ihr Unternehmen.